Re: Neue Ideen zur FE


[ Zauberspiegel Wissenschaft Ideenfabrik ]


Geschrieben von Halil am 06. November 2006 08:02:12:

Als Antwort auf: Neue Ideen zur FE geschrieben von Halil am 25. Oktober 2006 12:46:34:

Hallo,

Weil ich mir denke, dass eine alternative Interpretation der Heisenbergschen Unschärferelation viele Forumsteilnehmer interessieren würde, hänge ich unten einen Kurzartikel von mir an, der in Kutadgubilig 7, 131(2005) erschienen ist.

Gruss, Halil


Zur Interpretation der Heisenbergschen Unschärferelation

Halil Güvenis


ZUSAMMENFASSUNG

Bohr führt die Unschärferelation auf die Untrennbarkeit von Beobachter und Mikroobjekt zurück. Eine nähere Betrachtung zeigt jedoch, daß die Quantensysteme unabhängig vom Beobachtungsvorgang untrennbar mit spontan absorbierten und emittierten Photonen verbunden sind. Der Beobachter kann daher nicht genuin für die Unschärferelation verantwortlich sein. Die charakteristischen Unbestimmtheiten in der Natur sind in erster Linie auf die Wirkung von spontan absorbierten und emittierten Photonen zurückzuführen.

Stichwörter: Unschärferelation, Beobachter, Meßvorgang, spontan absorbierte und emittierte Photonen.


Die erste Interpretation der Unschärferelation gab Werner Heisenberg in seiner berühmten Arbeit vom März 1927 [1]. Der Kerngedanke dieser Arbeit war, daß der Beobachter zwecks Ort- bzw. Impulsmessung Photonen an Teilchen streuen muß und dadurch einen unstetigen Comptonrückstoß verursacht. Die dabei auftretenden Ort- und Impulsunschärfen lassen sich nach elementaren Regeln des Comptoneffekts berechnen und erfüllen die Relation

Δ q Δ p ~ h = 6,63 x 10–34 Joule.s , (1)


d. h. “je genauer der Ort bestimmt ist, desto ungenauer ist der Impuls bekannt und umgekehrt.” [1]

Diese Begründung der Unschärferelation wurde von Niels Bohr noch im Anhang des Heisenberg-Artikels kritisiert. Nach Bohr rührt die Unsicherheit in der Beobachtung nicht ausschließlich von der Unstetigkeit des Rückstoßes her. Erst die Forderung, dem Wellen- und Teilchencharakter der Quantenobjekte gleichzeitig gerecht zu werden, erzeugt die Unbestimmtheit. So ist z.B. bei der Photonstreuung die Divergenz des eingestrahlten Lichtbündels zu berücksichtigen. “Diese erst hat zur Folge, daß bei der Beobachtung des Elektronenortes die Richtung des Comptonrückstoßes nur mit einer Ungenauigkeit bekannt ist, die dann zur Relation (1) führt.” [1]

Bohr präzisierte später diese Interpretation dahingehend, daß er von einer unkontrollierbaren Störung des Mikroobjekts durch das Meßmittel sprach [2]. Die Unschärferelation sei auf die Untrennbarkeit von Beobachter und Mikroobjekt zurückzuführen. Da unser gesamtes Wissen über die physikalische Welt durch Meßinstrumente vermittelt ist, kann die unkontrollierbare Wechselwirkung der Meßgeräte mit Quantenobjekten nicht vernachlässigt werden. Folglich sind Meßmittel und Quantenobjekt untrennbar miteinander verbunden [3].

Charakteristisch für die Bohrsche Interpretation ist, daß sie sich für den Zustand der Quantenobjekte vor der Messung gar nicht interessiert. Es ist nämlich prinzipiell nicht möglich, durch Messungen über die Vorgeschichte der Teilchen mehr zu erfahren als es von der Unschärferelation her erlaubt ist. Die Unmöglichkeit, zwischen dem Meßgerät und dem gemessenen Objekt eine klare Trennung zu vollziehen, verhindert die eindeutige Zuordnung der gemessenen Unbestimmtheiten zu objektiven Ursachen.

Allerdings muß an dieser Stelle bemerkt werden, daß die Störung des Meßgeräts nur für einzelne Quantenobjekte unkontrollierbar ist, beim Übergang zum statistischen Ensemble jedoch die Störung kontrollierbar wird. Es ist nämlich möglich, die vom Meßgerät auf das Ensemble übertragene Unschärfe exakt zu berechnen. Ziehen wir von der gemessenen Gesamtunschärfe den berechneten Beitrag des Meßgeräts ab, so können wir objektiv vorhandene Unbestimmtheiten unverfälscht darstellen.

Es macht also im Rahmen der Ensemble-Interpretation der Quantenmechanik [4] schon Sinn, nach objektiven Ursachen der Unschärferelation zu fragen. Die charakteristischen Unbestimmtheiten könnten nämlich, ähnlich wie bei der Brownschen Bewegung, durch zufällige und unstetige Wechselwirkungen mit einem Sub-Quantensystem verursacht sein. Damit aber dieses System die ständig vorhandenen Unbestimmtheiten erzeugen kann, muß es mit Quantenobjekten untrennbar verbunden sein.

Wenn wir nach so einem Sub-System Ausschau halten, dann fällt uns sofort auf, daß im realen physikalischen Geschehen massebehaftete Teilchen untrennbar mit spontan absorbierten und emittierten Photonen verbunden sind [5]. Überall im Weltall unterliegen Quantenobjekte spontanen Absorptions- und Emissionsprozessen in Form von thermischer Strahlung, von virtuellen Photonen oder Vakuumfluktuationen. Es ist grundsätzlich nicht möglich, sich eine “dunkle Ecke” des Weltalls vorzustellen, in der die Objekte unbeeinflußt und unverändert von diesen Photonprozessen existieren. Folglich erhalten alle Teilchen eine natürliche Unschärfe, die von zufälligen und unstetigen Wechselwirkungen mit Photonen herrührt.

Die Quantenobjekte unterliegen also einer objektiv gegebenen Unschärfe, die dem Beitrag des Meßgeräts vorausgeht. Es ist zwar richtig, daß die Meßabsicht des Beobachters einen unvermeidbaren Eingriff mit Photonen darstellt. Man kann jedoch nicht behaupten, daß dieser Eingriff die Unschärfen in Ort und Impuls ursprünglich erzeugt. Die Unschärfen waren schon vor der Messung da, und zwar hervorgerufen durch spontan absorbierte und emittierte Photonen. Was der Beobachter erzeugt hat, ist nur eine zusätzliche Unschärfe, die ihn allerdings nicht berechtigen darf, zu behaupten, seine Meßgeräte seien genuin schuld für die Unbestimmtheit in der Natur.

Man könnte nun geneigt sein, zu argumentieren, daß die von uns postulierte Kontrollierbarkeit der natürlichen Unschärfe fürs statistische Ensemble eigentlich nicht von Bedeutung ist, sondern daß es bei der Unschärferelation vielmehr um die unkontrollierbare Störung der einzelnen Quantenobjekte geht. Gegen diese Argumentation wäre einzuwenden, daß die Unschärferelation nur für das statistische Ensemble eine zwingende Aussage macht und daher die Interpretation auf der Ebene des Ensembles stattfinden muß. Ein einzelnes Teilchen hingegen braucht die Unschärferelation nicht zu befolgen; es existiert eine endliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß seine Ort- und Impulsunschärfen die Relation Δ q Δ p < ћ / 2 erfüllen.


LITERATURHINWEIS


[1] W. Heisenberg, Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen
Kinematik und Mechanik, Z. Physik 43, 172 (1927).

[2] N. Bohr, Das Quantenpostulat und die neuere Entwicklung der Atomistik,
Naturwissenschaften 16, 245 (1928).

[3] N. Bohr, Diskussion mit Einstein über erkenntnistheoretische
Probleme in der Atomphysik, in: P.A. Schilpp (Hrsg.), Albert
Einstein als Philosoph und Naturforscher, Stuttgart 1955.

[4] L.E. Ballentine, The Statistical Interpretation of Quantum Mechanics,
Rev. Mod. Phys. 42, 358 (1970).

[5] H. Güveniþ, Interpretation of the Quantum Potential,
Physics Essays 13,587 (2000).







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