Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art
Geschrieben von Emil am 22. Februar 2007 14:29:30:
Wenn jeder vor seiner eigenen Haustür kehren würde, was wäre es für eine saubere Welt.
- frei nach Goethe
Es gibt so viele offensichtliche Mängel am menschlichen Charakter, dass sich sogar Friseure langweilen würden, wenn man anfinge, sie aufzuzählen.
Doch heute will ich mich nur auf zwei davon konzentrieren, die ich unterhaltsam finde: Der Mensch kann nicht anders, er muss sein Gehirn verwenden, um die Welt zu verbessern. Aber sobald er sich an die Arbeit macht, dann gibt das Gehirn den Geist auf.
Dieser Mangel zeigt sich zum ersten Mal, wenn der typische Homo Sapiens das Jugendalter erreicht hat. Das ist der Zeitpunkt, zu dem sein Gehirn scharf und aktiv ist, aber noch nicht durch die Erfahrung an seinen Platz verwiesen wurde. Immer noch glaubt es, es könne jedes Problem lösen, als handele es sich dabei um eine lange Divisionsaufgabe.
In seinen Jugenderinnerungen berichtet beispielsweise ein Kindheitsfreund von Adolf Hitler, dass der zukünftige Führer durch die Nachbarschaft spaziert sei und darauf hingewiesen habe, wie man Dinge verbessern können – die Farbe des einen Hauses ändern … die Säulen bei einem anderen niederreißen … das Dach eines dritten anheben. Aber anstatt ein Haus zu kaufen und seine jugendlichen architektonischen Ambitionen in die Tat umzusetzen, versuchte der junge Hitler das Aussehen der gesamte Welt zu verändern.
Und an dieser Stelle will ich einen anderen Mangel – keinen Mangel der Anführer, sondern einen des einfachen Mannes - auf den Tisch bringen. Er ist bereit, bei all dem mitzumachen. Innerhalb von nur wenigen Jahren marschierten die Deutschen im Gänsemarsch durch ganz Europa, brachten Chaos und Unruhe ... und versuchten die neue Weltordnung Hitlers einzusetzen.
“Ich kann mich daran noch erinnern”, sagte ein Mann, den ich gestern traf, “Ich bin dabei gewesen. Und ich wäre heute nicht mehr hier, hätte es nicht auch welche von der Sorte gegeben, die wir heute die ‚Justes’ (die Gerechten) nennen.“
Ja, liebe Leser, wieder einmal schreibe ich nicht über die vielen heruntergekommenen Wichtigtuer in unserer Mitte, sondern über einige wenige echte Helden. Viele von ihnen wurden vergangene Woche in Paris geehrt, im Rahmen einer besonderen Feierlichkeit im Pantheon.
Als die Nazis ihre Pläne zur Weltverbesserung enthüllten, mussten die Juden feststellen, dass für sie dabei kein Platz war. Viele flohen nach Frankreich. Doch als die Panzer in Paris einrückten, mussten sie feststellen, dass sie nicht weit genug geflohen waren. Die Herrenrasse, mit aktivem, stillschweigendem Einverständnis der französischen Regierung, umzingelte die Juden bald und brachte sie zurück nach Deutschland, entweder in die Arbeitslager ... oder zur Vernichtung.
Nur wenige Leute – die Justes – machten es sich zur Aufgabe, hier einzugreifen.
„Ich war damals erst drei Jahre alt”, erklärt mein Freund beim Mittagessen, „aber meine Mutter und mein Vater wussten, dass sie jeden Tag hätten aufgegriffen werden können. Wir hatten Freunde, die eine Bar und ein Hotel außerhalb von Paris besaßen. Sie haben angeboten, mich aufzunehmen. Es war wirklich sehr mutig von ihnen, weil sie vermutlich selbst in die Arbeitslager geschickt worden wären – oder sogar getötet – wenn man mich entdeckt hätte. Und das Schlimmste war, dass man sich verstecken musste ... nicht nur vor den Deutschen, sondern auch vor den eigenen Nachbarn, denn man konnte nie wissen, wer einen bei der Gestapo melden würde.“
„Also nahmen mich diese Leute auf und sie erzählten allen, ich sei ihr Enkelsohn … mein Vater sei ihr Sohn, der so etwas wie ein Lebemann sei, und die Mutter sei davongelaufen. Wenn mich jemand fragte, wer meine Eltern seien, dann sollte ich sagen, dass ich es nicht wüsste.“
„Eine Zeitlang kampierten die Deutschen im Hof des Hotels und die Offiziere wohnten in den Zimmern. Sie waren eigentlich ziemlich freundlich. Einer von ihnen hat mir einen Riegel Schokolade gegeben. Aber ich hatte Angst ihn zu essen, weil meine Mutter mir gesagt hatte, dass die Deutschen mich vielleicht würden vergiften wollen. Also gab ich den Schokoriegel dem Hund, um zu sehen, was passieren würde. Dem Hund ging es gut ... und ich wünschte, ich hätte den Riegel selbst behalten.“
„Das waren schon seltsame Zeiten. Aber heute gehe ich zum Pantheon. Ich bin ein Zeuge ... ein lebender Zeuge ... der Zeuge wurde, dass einige Leute, wirklich tapfere und mutige Dinge tun, selbst dann, wenn sie eigentlich keinen Grund dazu haben. Und wissen Sie, das ist eine der Sachen im Zweiten Weltkrieg ... und vielleicht die einzige ... auf die wir Franzosen wirklich stolz sein können.“
„Ja, liebe Leser. Es gibt Leute, die die Welt verbessern wollen, was nicht nur hoffnungslos ist, sondern auch eitel und katastrophal. Und dann gibt es echte Helden, die tun was sie können, um die Welt um sich herum zu verbessern. Hier werde ich einer weiteren Reihe von ihnen Ehre erweisen.
In den USA kostet es ungefähr 1.650 Dollar einen grauen Star zu operieren. Man würde in einem Land wie Indien nicht damit rechnen, dass viele solcher Operationen durchgeführt werden, nachdem das Pro-Kopf-Einkommen vermutlich bei weniger als 1.000 Dollar liegt. Doch in Indien gibt es heute fünf Krankenhäuser, die im Jahr mehr als 180.000 solcher Operationen durchführen. Jedes Operation kostet ungefähr 110 Dollar. Die meisten Patienten zahlen gar nichts.
Und das verdanken wir Dr. Govindappa Venkataswamy, der 1976 das erste Augenkrankenhaus mit zwölf Betten im Haus seines Bruders in Madurai einrichtete. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits 57 Jahre alt.
Dr. V war ursprünglich ein Geburtshelfer. Er war schon in jungen Jahren durch eine rheumatische Arthritis verkrüppelt. Seine Genesung dauerte zwei Jahre. Da er keine Kinder mehr zur Welt bringen konnte, wandte er sich der Augenheilkunde zu und entwickelte ein spezielles Werkzeug, dass seinen Händen angepasst war. Er stellte fest, dass er Augenoperationen dadurch einfacher, schneller und deutlich günstiger durchführen konnte, als bisher.
Die Inspiration dazu, sagt er, sei von McDonald’s gekommen. Er habe die goldenen Bögen zum ersten Mal im Alter von 55 Jahren entdeckt, und es habe sein Leben verändert.
“In Amerika gibt es kraftvolle Wege, um Produkte wie Cola und Hamburger zu verkaufen“, sagt er, „alles was ich will ist, gutes Sehen zu verkaufen und es gibt Millionen von Menschen, die es brauchen. Wenn Coca-Cola Milliarden von Limos verkaufen kann und McDonald’s Milliarden von Burgern, warum kann Aravind dann nicht Millionen von Operationen verkaufen, die die Leute wieder sehen lassen? Wenn sie sehen können, dann müssen die Leute nicht mehr hungern, sie werden von Angst und Armut befreit.“
„In der dritten Welt bezeichnet man einen blinden Menschen als ‚Mund ohne Hände’“, sagt Dr. Venkataswamy „er ist nachteilig für seine Familie und das gesamte Dorf. Doch alles was er braucht ist eine 10-minütige Operation. Eine Woche unter dem Verband, und in der nächsten Woche ist er wieder mit dabei. Das ist viel fürs Geld. Aber die Leute wissen noch nicht, dass diese Operation angeboten wird oder dass sie sich eine solche Operation auch leisten können, weil sie schließlich kostenlos ist. Wir müssen ihnen erst die Notwendigkeit verkaufen.“
Das Krankenhaus zahlt die Rechnung für diejenigen, die nicht zahlen können. Zahlende Kunden zahlen 50 Rupien pro Beratung und sie können sich ihre Unterkunft aussuchen. Ein Zimmer der A-Klasse für 3 Dollar am Tag ist privat. Ein Zimmer der B-Klasse, bei dem man sich die Toilette teilen muss, kostet 1,50 Dollar am Tag. Ein Zimmer der C-Klasse ist lediglich eine Matratze auf dem Boden und kostet einen Dollar. Zahlende Kunden können sich zwischen einer Operation mit Naht (für 110 Dollar) und einer Operation ohne Naht (für 120 Dollar) entscheiden.
Seit er damit angefangen hat, hat sein Augenkrankhaus mehr als eine Millionen Menschen in Indien wieder sehen lassen. Selbst bei so kleinen Beiträgen je Patient macht Aravind noch Profite mit einer Gewinnspanne von 40%. Wenn eine Operation abgeschlossen ist beginnt sofort die nächste. Es ist somit ganz offenkundig ein sehr effizientes und produktives Unternehmen.
Aravind führen heute mehr Augenoperationen durch als irgendein anderer Anbieter weltweit. Und das, obwohl man keine Regierungszuschüsse annimmt. Das Krankenhaus trägt sich vollständig selbst. Zudem versucht Dr. Venkataswamy nicht, für sich selbst einen Gewinn mit diesem Unternehmen zu erzielen. Er lebt von seiner Pension und bezieht kein Geld von Aravind.
Dr. Venkataswamy hilft den Armen in einem gewaltigen Umfang. Aber er hilft ihnen auf eine andere Art als die typischen Weltverbesserer. Er sieht sie als Individuen.
“Berater sprechen von ‘den Armen’”, sagt er, „bei Aravind tut das niemand. ‚Die Armen’, das ist ein geschmackloser Ausdruck. Würden Sie Christus als ‚Armen’ bezeichnen? Von Leuten als ‚die Armen’ zu denken, setzt einen selbst in eine überlegene Position, es macht blind für die Weise, in der man selbst arm ist – und im Westen trifft das in mancher Hinsicht zu: emotional und spirituell beispielsweise. Man hat in Amerika seine Annehmlichkeiten, aber man hat Angst voreinander.“
B. Bonner
- Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art , Teil 2 Emil 02.3.2007 13:29 (6)
- Re: Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art , Teil 2 Philipp 21.3.2007 21:15 (5)
- Re: Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art , Teil 2 Emil 22.3.2007 14:12 (4)
- Re: Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art , Teil 2 Philipp 22.3.2007 20:24 (3)
- Re: Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art , Teil 2 Emil 23.3.2007 12:20 (1)
- genau (ohne Text) Philipp 24.3.2007 02:53 (0)
- Nomination von 1000 Frauen für den Nobelpreis 2005 Philipp 22.3.2007 20:26 (0)
- Re: Wirtschaft: Weltverbesserer der anderen Art Heinrich Dreier 25.2.2007 13:31 (0)